Jahrestagung 2011:
"Man könnte noch viel mehr voneinander haben…"
Jahrestagung thematisiert die Beziehung Hilfswerke und Eine-Welt-Gruppen
Aus allen Regionen Nordrhein-Westfalens strömten am ersten Wochenende nach den Weihnachtsferien Eine-Welt-Engagierte nach Münster. Dort fand in der Bistumsakademie Franz Hitze Haus vom 14. - 16.01. 2011 auf Einladung der Akademie und der Arbeitsgemeinschaft Eine-Welt-Gruppen die Jahrestagung Entwicklungspolitik statt. Tagungsleiter Heinz Meyer konnte stolz darauf hinweisen, dass das Haus mit 160 Teilnehmern und Teilnehmerinnen bis unters Dach ausgebucht war.
Nicht nur alle Landesteile, auch alle Altersgruppen waren vertreten. Dabei wurde mit 35 Kindern und Jugendlichen die übliche Alterspyramide in Eine-Welt-Gruppen auf den Kopf gestellt. Einige Aktive waren das erste Mal dabei, für andere war die Jahrestagung eine Art Familientreffen. Sie kommen immer wieder gern – wegen des Programms, aber auch wegen der Möglichkeiten, sich nebenbei zu informieren. Schon beim ersten Abendessen waren Fragen wie diese zu hören: „Weiß jemand, wie wir den Besuch von zwei Tansaniern finanziert bekommen?“ oder „Sind Sie auch schon fusioniert, und was heißt das für Ihre Gruppe?“ oder „Welche Musiker könnte ich mal für unseren Partnerschaftsgottesdienst engagieren?“
Inhaltlich ging es um das Verhältnis von Werken und Gruppen. Wie kann die Beziehung zwischen Misereor, Adveniat, Brot für die Welt und den weiteren Hilfswerken auf der einen Seite und den Eine-Welt-Gruppen auf der anderen Seite verbessert werden?
Den Auftaktvortrag hielt Barbara Riek, beim Evangelischen Entwicklungsdienst (eed) Leiterin des Referates Inlandsförderung und Bildung. Sie brachte schöne Beispiele für eine Wechselbeziehung, von der beide Seiten profitieren. Etwa die Förderung von Gruppen durch den eed und durch den Katholischen Fonds als Instrument der Werke: Die Eine-Welt-Aktiven erhalten Geld für Veranstaltungen, Ausstellungen und Partnerschaftstreffen – die Hilfswerke profitieren von einer örtlich effektiven Bewusstseinsbildung. Oder der Aufbau politischer Expertise in den Hilfswerken: Die Hilfswerke speisen auch die Informationen von länderbezogen arbeitenden Gruppen ein – alle Gruppen können auf die Hilfswerke mit ihrem Wissen zurückgreifen. Rieks Fazit: „Die Zusammenarbeit hat begonnen, ist aber ausbaufähig.“ Zu überlegen sei beispielsweise, ob Werke nicht ihre Projektpartner für Gruppen öffnen sollten. Und ob es nicht mehr Transparenz in der Kommunikation geben müsse, auch und gerade hinsichtlich der Schwierigkeiten, auch beim Scheitern. Und wie Gruppen ermutigt werden können, die eigenen Kompetenzen und ihre Grenzen offenzulegen. Diesen Ball spielte ein Teilnehmer in der sich anschließenden lebhaften Diskussion sofort zurück: „Die Werke und die verfassten Kirchen täten gut daran, wahrzunehmen, was Ehrenamtliche nach Feierabend leisten.“ Eine andere Teilnehmerin bezweifelte die Auffassung Rieks, dass die Gruppen den Standortvorteil „Freiheit“ hätten. Zwar sei man nun nicht gerade von der Bischofskonferenz abhängig, aber im „Korsett der Gemeinde“ erlebe man ganz andere Zwänge. Tacheles redete ein weiterer Teilnehmer. Es gebe eine Konkurrenz zwischen beiden Akteuren, was sich in der Advents- und Weihnachtszeit zeige: Brot für die Welt und Adveniat rufen zu Spenden auf – die Gruppen locken in die Weihnachtsbasare. Selbstkritisch fragte schließlich jemand, ob die Gruppen den Werken nicht viel zu viel Respekt entgegenbringen, und zwar nach dem Motto „Dort sitzen ja die Experten, was zähle ich da schon?!“
Wie bereits in den vergangenen Jahren gab es am Samstag die Möglichkeit, verschiedene Teilaspekte des Tagungsthemas in Arbeitsgruppen zu vertiefen. So verschafften zum Beispiel Dr. Hartmut Köß von der Deutschen Bischofskonferenz und Barbara Riek auf äußerst anschauliche Weise einen Überblick über die differenzierte Landschaft evangelischer und katholischer Hilfswerke. In der sich anschließenden Diskussion wurde die sogenannte Inlandsarbeit, also Bildungs- und Lobbyarbeit, als sehr bedeutsam für langfristige Prozesse eingestuft. Klage gab es über manche Pfarrer, die die Jahresaktionen von Missio, Renovabis und den anderen Werken in ihren Gemeinden unterschlagen und nicht einmal als Minimalform die Kollekte ansagen. Eine Anregung war: Warum finden die Hilfswerke keine gemeinsamen Schwerpunktthemen? Sie können doch ihren jeweiligen spezifischen Auftrag erfüllen und sich gleichzeitig etwa auf übergreifende Themen, wie Migration oder den Klimawandel, konzentrieren.
In einem anderen Workshop ging es ausdrücklich um Politik. Unter dem Titel „Was heißt Option für die Armen?“ stellte Bernd Ludermann, Chefredakteur der Zeitschriften welt-sichen, die Hilfswerke in ihrem Spagat zwischen „Mildtätigkeit und politischer Einmischung“ vor. Allesamt befänden sich die Werke in dieser ständigen Spannung zwischen dem notwendigen Fundraising bei politisch abstinenten Spendern einerseits und der zur Identität gehörenden Parteinahme für die Armen andererseits. Das komme der Quadratur des Kreises gleich. Gleichwohl geschehe eine ganze Menge: Kamingespräche, offizielle Kontakte mit Abgeordneten und Ministerien, Internetpartizipation. Letztlich offen blieb in der Diskussion aber die Frage, wie Hilfswerke politischer werden können und trotzdem die Spender mitnehmen. Jedenfalls bei den Anwesenden gab es eine klare Option: Wie es schon vor Jahren der Limburger Bischof Kamphaus bezogen auf das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter gesagt hat, komme es eben nicht nur darauf an, den unter die Räuber Gefallenen zu verbinden, sondern auch die „Strukturen der Räuberei“ auszuhebeln. Ein von der Jahresversammlung ausgehender Brief solle den Hilfswerken diesen Wunsch deutlich machen.
Nach einem arbeitsreichen, aber ergiebigen Tag in den Workshops brachte eine Theatergruppe Lust und Frust des entwicklungspolitischen Engagements mit ihren ganz eigenen Mitteln auf die Bühne. FAIRDINAND war die Titelfigur, die sich vergeblich bemühte, Waren aus dem Fairen Handel an den Mann und an die Frau zu bringen. („Von Haus zu Haus, von Tür zu Tür…“) Alle dem Publikum geläufigen Argumente der Verkäufer und alle nur zu gut bekannten Ausflüchte der Umworbenen wurden witzig und äußerst professionell karikiert. Donnernder Applaus!
Für nicht wenige Stammgäste der Tagung ist der Gottesdienst stets ein Highlight. Eine Gruppe um den Pastoralreferenten Michael Remke-Smeenk, die sich erst tags zuvor gebildet hatte, betrachtete dieses Mal das Evangelium vom barmherzigen Samariter durch die weltkirchliche Brille. Lieder und Gebete führten die Gottesdienstgemeinschaft an die spirituellen Quellen für das Engagment.
Zum Abschluss bündelten Diskussionsleiter Bernd Ludermann und die Podiumsteilnehmer Erfahrungen der vergangenen Tage und benannten vorsichtig einige neue Handlungsmöglichkeiten. Dabei konnten Richard Nawezi aus dem Kongo und Marcos da Costa Melo aus Brasilien ausdrücklich die Südperspektive vertreten. So begrüßte beispielsweise da Costa Melo, dass die meisten Gruppen nicht nur Spenden sammelten, sondern ihre tiefgreifenden Erfahrungen und Erkenntnisse weitergeben wollen. Er wünschte sich dabei aber eine stärkere Aufnahme der Anfragen aus den Entwicklungsländern. Und zwar nicht nur, um die eigene Position zu stützen, sondern auch um sich Beispiel hinsichtlich des eigenen Lebensstil hinterfragen zu lassen. Nawezi hingegen wies auf das Problem der ausbleibenden Zusammenarbeit zwischen den Diaspora-Verbänden und den Eine-Welt-Gruppen hin. Obwohl diese sich doch mit großem Engagement für die Menschen in Entwicklungsländer einsetzten, nähmen sie zu wenig die hier lebenden Menschen aus eben diesen Ländern, beispielsweise in den Afrika-Verbänden, zur Kenntnis. Der Vertreter der Hilfswerke, Misereor-Wasserexperte Jean-Gerard Pankert, bot den Gruppen an, ihre Projekte fachlich zu begutachten.
Solidaritätsarbeit wird fruchtbarer, wenn sie im Dreieck Südpartner – Gruppen – Hilfswerke stattfindet. Darin waren sich am Schluss alle einig. Und Werner Siemens von der einladenden Arbeitsgemeinschaft Eine-Welt-Gruppen entließ die örtlichen Eine-Welt-Aktiven sogar mit einem Appell: „Wendet Euch an die Hilfswerke! Ihr könnt dabei nur gewinnen.“
Ulrich Jost-Blome