Jahrestagung 2010:
"Eine-Welt-Arbeit entstauben"
30. Jahrestagung der AG Eine-Welt-Gruppen Mehr als 150 junge und ältere Engagierte kamen vom 15. - 17. Januar in der Evangelischen Akademie Villigst zur 30. Jahrestagung Entwicklungspolitik zusammen. Unter dem Titel "Eine-Welt-Arbeit entstauben" warfen sie einen ehrlichen Blick auf ihre eigene Situation und diskutierten neue Handlungsansätze, für Jugendliche und junge Erwachsene.
Ein gewisser Heinz Dombrowski (alias Sebastian Aperdannier vom Referat Weltkirche des Bischäflichen Generalvikariates) führte kabarettistisch in die Tagung ein. Mit Witz, bis hin zum Sarkasmus und Zynismus, geißelte er die Regierung in Berlin. Zwar sei Dirk Niebel "die neue Speerspitze der bundesdeutschen Entwicklungspolitik", dennoch habe man das BMZ zur Unterabteilung des Westerwelle-Außenministeriums degradiert.
Von Westerwelle höchstselbst konnte Dombrowski übrigens eine Grußbotschaft in verhandlungssicherem Englisch verlesen: „My name is Guido Westerwelle and in Germany I’m the new OUT-Minister.“ Doch für Dombrowski ist klar: „Von der Politik ist die Rettung der Welt nicht zu erwarten.“ Als Trost und Rückenstärkung fürs örtliche Engagement konnte er aber immerhin den neu ausgelobten Creative New Fair Trade Award überreichen. Platz 1 ging an den Weltladen Münster für das innovative Produkt First Flush green deep peace tea.
In einem viel beachteten Impuls machte sp?ter Sebastian Aperdannier, nun wieder ganz seriös, den Menschen an der Basis Mut. Es sei doch gut, wenn die oftmals in den Gemeinden als „Spinner“ angesehenen Aktiven hier auf so viele andere „Spinner“ treffen würden. Zudem übertrug er seine Erfahrungen als Eheberater, indem er davon abriet, Andere immer und immer wieder durch Appelle erreichen zu wollen. Wenn der Andere nicht hören will, bringen Appelle nichts, doch man selbst wird frustriert, so Aperdannier. Einen ganz konkreten Rat hatte er parat: „Tue, was Du tust! Sei bei der Sache! Wenn Du den Honig auspackst, denke an den Imker in Guatemala. Wenn Du die Kaffeepakete in Reih und Glied auf den Tapeziertisch legst, bringe Dich gedanklich in Verbindung mit den Kaffeepflückern in Mexiko.“
Zuvor hatten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in einem sogenannten Speed-Dating miteinander bekannt gemacht. Diese vergleichsweise neue Methode der Beziehungsarbeit riss alle so mit, dass sich selbst Kennenlernspielmüde begeistert zeigten. Und wie nebenbei erfuhr man manches über den Anderen: was ihm in der Eine-Welt-Arbeit am meisten Spaß macht, was der Auslöser fürs Engagement war und was er für die größte Bedrohung der Arbeit hält.
Damit war der Abend aber noch lange nicht zu Ende. Bis tief in die Nacht steckten die Aktiven vom Niederrhein, aus Sauer- und Siegerland, aus dem Ruhrgebiet und aus dem Münsterland die Köpfe zusammen, um einander von Lust und Frust zu erzählen.
Wie schon in den vorhergehenden Jahren gehörte der Samstag den Arbeitsgruppen, in denen ganz unterschiedliche jugendorientierte Ansätze vorgestellt und diskutiert wurden. So etwa das von Münster ausgehende Projekt Solar Net, das eine virtuelle Vernetzung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in weit über hundert Ländern erreicht hat. Oder der Freiwilligendienst im Ausland, eine ausgezeichnete und sich immer mehr ausweitende Möglichkeit, interkulturelle Lernerfahrungen zu machen.
In diesen Reigen gehören auch die Angebote der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) und des Eine Welt Netzes NRW, die sich in einer der Arbeitsgruppen gemeinsam präsentierten. Die DPSG-Bildungsreferentin Angelika Weide konnte stolz auf die wachsenden Mitgliederzahlen des Diözesanverbandes Münster verweisen. Im Gegensatz zu fast allen anderen Verbänden und Organisationen hätten die Pfadfinder großen Zulauf. Warum? Die hauptamtlich unterstützten Angebote seien niederschwellig, prozesshaft und projektorientiert; die Kinder und Jugendlichen trüfen sich in ihrer Altersgruppe und könnten sich dort ausprobieren. In der Wahrnehmung des Eine Welt Netzes NRW sind Eine-Welt-Themen bereits in vielen Jugendmilieus an vielen Orten in Nordrhein-Westfalen verankert. Daher stehe jetzt an, so Jens Elmer, vom punktuellen Globalen Lernen zu einem partizipativen Jugendverband zu kommen. Elmer und Weide waren sich einig, dass es durchaus möglich ist, Jugendliche für die Eine-Welt-Arbeit zu interessieren. Für deren Lust auf ein punktuelles Engagement müsse man immer wieder Anlässe schaffen. Spaß und Aktionen d?ürften nicht zu kurz kommen, am besten in einem eigenverantwortlichen Projekt. Und für Weide ist ganz wichtig: „Jugendliche brauchen einen Vertrauensvorschuss. Man muss sie auch erst mal machen lassen.? Allerdings sei es wenig aussichtsreich, sie für die schon bestehenden Gruppen rekrutieren zu wollen. „Jugendliche wollen sich in der Freizeit mit Jugendlichen treffen – nicht mit ihren Eltern“, pflichtete ein Teilnehmer des Workshops bei.
Abgerundet wurde der intensive Tag von Cactus Junges Theater. Was die multinationale junge Gruppe unter der Regie von Barbara Kemmler thematisch selbst erarbeitet, in vielen Wochen einge?bt und mit großer Präsenz auf die Bühne gebracht hatte, das fand ein begeistertes Publikum.
Sonntag ist Gottesdiensttag; so auch in der Jahrestagung Entwicklungspolitik. Initiiert und gebündelt durch den Pastoralreferenten Michael Remke-Smeenk wurde in Gebeten und Gesängen deutlich, aus welcher Quelle die Aktiven schöpfen. Selbstverständlich brachten sich dabei auch die Jugendlichen ein.
Den Abschlussvortrag „Voraussetzungen für freiwilliges Engagement“ hielt Dr. Hans Hobelsberger von der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge. Er erinnerte zuerst n?chtern daran, dass die Eine-Welt-Arbeit nicht mehr im Trend liege wie in den 70er und 80er Jahren. Auch das Drehen an der einen oder anderen Stellschraube werde aller Voraussicht nach nicht zu mehr Engagement führen: „Eine-Welt-Arbeit ist eine Nische und wird auch wohl eine Nische bleiben.“ Aber, auch wenn sich traditionelle Passungsverhältnisse geändert haben, finde verblüffenderweise der größte Teil des jugendlichen Engagements im Rahmen formeller Träger statt. Dabei dominierten Spaß und Gemeinschaft; gemeinwohlorientierte Erwartungen seien eingewoben. Das Engagement sei ereignisorientierter, anlassorientierter und projektförmiger geworden ist. Was habe ich davon? Diese Frage hat über die letzten Jahre an Bedeutung gewonnen, und wohl nicht nur für Jugendliche. Hobelsberges Fazit: „Ehrenamt ist und bleibt unverzichtbar. Daher muss man Leute ansprechen, ermutigen und sie bilden.“
Bevor die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wieder zurück in ihre Gruppen und Gemeinden fuhren, gaben sie noch ihr Feedback ab. Eine Frau aus Rheine begeisterte sich: „Auch dieses Mal waren wieder viele hochkompetente Referenten dabei.“ Und ein Mann aus Recklinghausen meinte: „Ich habe sehr viele Anregungen für meine Arbeit bekommen.“
Angesichts solcher und anderer Rückmeldungen dürfte auch die kommende Jahrestagung, die vom 14. – 16. Januar 2011 in Münster stattfindet, wieder ausgebucht sein.
Ulrich Jost-Blome