Jahrestagung 2016:
35. Jahrestagung Entwicklungspolitik stellt sich der Flüchtlingskrise
Die Frage, was Eine-Welt-Gruppen angesichts der Flüchtlingskrise tun können, beschäftigte in der Jahrestagung Entwicklungspolitik mehr als 140 Engagierte vom 08. bis 10.01.2016 in der Evangelischen Akademie Villigst. Veranstaltet wurde die Jahrestagung von der Akademie in enger Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Eine-Welt-Gruppen im Bistum Münster und in der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Vom Niederrhein, aus dem Sauerland oder aus dem Ruhrgebiet kamen Menschen zusammen, die sich ansonsten eher dem Fairem Handel oder den Partnerschaftsbeziehungen verschrieben haben. „Aber spätestens jetzt ist ja die Dritte Welt bei uns angekommen“, erläuterte ein Teilnehmer seine Motivation. Er erhoffe sich Anregungen, wie die klassische Eine-Welt-Arbeit ganz konkret auf die aktuelle Herausforderung der großen Fluchtbewegungen reagieren könne.
Tagungsleiterin Birgit Weinbrenner wies darauf hin, dass das Thema schon Anfang des vergangen Jahres festgelegt worden sei; kaum jemand aber habe geahnt, welche Dynamik es in den folgenden Monaten entfalten würde.
Doris Peschke, Generalsekretärin der Churches‘ Commission for Migrants in Europe, benannte in ihrem weitgesteckten Eröffnungsvortrag über „Europäische Flüchtlings- und Asylpolitik“ zunächst die Fakten: 60 Millionen Flüchtlinge gebe es weltweit, davon seien 40 Millionen Binnenflüchtlinge und 20 Millionen Flüchtlinge über Staatengrenzen hinweg. Deutschland habe im zu Ende gehenden Jahr davon 1 Millionen Menschen aufgenommen. Genaue Zahlen gebe es allerdings nicht, da einerseits Doppelanmeldungen möglich sind, aber andererseits Ausreisende aus Deutschland nicht mehr erfasst werden. Peschke sieht mehrere Ansatzpunkte für eine humanitäre und sinnvolle Flüchtlingspolitik auf EU-Ebene. Dazu gehöre die Unterstützung für aufnehmende Staaten, die Aufhebung der Visapflicht für Menschen aus Krisenregionen und die Verteilung anerkannter Flüchtlinge unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Situation und Wünsche.
Im Workshop über „Fluchtursachen in Subsahara-Afrika und entwicklungspolitische Handlungsmöglichkeiten“ begegnete Misereor-Experte Jonas Wipfler dem öffentlichen Eindruck eines Runs von Afrikanern auf Europa mit Fakten: „Die Hälfte der afrikanischen Migranten lebt in anderen afrikanischen Ländern, dazu kommen noch Millionen Binnenvertriebener.“ Zu den Prinzipien von Misereor in der Flüchtlingsarbeit gehöre die gemeinsame Förderung von Flüchtenden und lokaler Bevölkerung. Wichtig seien dabei die psychosoziale Trauma-Arbeit sowie angepasste Angebote speziell für Frauen und Kinder.
In einem anderen Workshop präsentierten Pfarrer John Uzuh von der freikirchlichen All Nations Christian Church und Aiga Wegmann-Sandkamp vom Diözesancaritasverband Münster die Angebote ihrer Organisationen. „Menschen nehmen ihren Glauben mit in ihre neue Heimat“, sagte Pfarrer Uzuh. Daher wolle man ihnen in der Migrationskirche eine neue Heimat im Glauben bieten, also miteinander Gottesdienste feiern, gemeinsam essen und die Flüchtlinge bei Arztbesuchen und Behördengängen begleiten. Dies sei ein Beitrag zur sozialen und kulturellen Integration der Migranten.
Im selben Workshop konnte Aiga Wegmann-Sandkamp vom Diözesancaritasverband Münster davon berichten, dass das Bistum Münster seit vergangenem Jahr nicht nur finanziell, sondern auch personell eine Offensive gestartet habe. 1,5 Millionen Euro stünden für die Herrichtung von Räumen und somit zur Eindämmung von Wohnungsnot und für die Unterstützung ehrenamtlicher Arbeit zur Verfügung. Außerdem seien in der Region zehn Vollzeitstellen zur Koordinierung der ehrenamtlichen Arbeit eingerichtet worden.
Der evangelische Pfarrer und die katholische Referentin waren sich bei manchen Unterschieden einig: Die Grundhaltung in der Begegnung mit Flüchtlingen besteht aus der Offenheit für das, was sie schon mitbringen, und der Bereitschaft für das, was sie brauchen. „Guter Wille zu helfen ist zwar die unerlässliche Vorbedingung, auf dieser Basis benötigt man aber Schulungen und den fachlichen Austausch“, so Aiga Wegmann-Sandkamp.
Nach so vielen Stunden ernsthafter Auseinandersetzung mit Fakten und Folgen war es erfrischend und belebend, das Junge Theater CACTUS auf der Bühne zu sehen, das dem Publikum, häufig nahe am Thema, einen begeisternden „Stand-Up Comedy Abend“ bescherte.
Wie in jedem Jahr war der Gottesdienst am Sonntagmorgen für manchen Teilnehmer in gewisser Weise ein Höhepunkt der gesamten Veranstaltung. Aus der Mitte der Tagung hatte ihn eine Gruppe um Michael Remke-Smeenk vorbereitet.
Allen Beteiligten war am Ende der Tagung möglicherweise klarer als vorher, dass man einen langen Atem braucht. Aber hoffnungsvoll meinte eine Teilnehmerin aus dem Münsterland: „Ich habe an diesem Wochenende wieder gemerkt, ich bin nicht allein. Über ganz NRW verstreut gibt es Gleichgesinnte. Das gibt mir Rückhalt.“
Ulrich Jost-Blome
Vortragsmaterialien von der Jahrestagung 2016:
- Was können Eine-Welt-Gruppen tun (PDF)
- Wipfler - Fluchtursachen in Subsahara Afrika (AG 1) (PDF)
- Poggenklaß - Kirchenasyl Faltblatt (AG 2) (PDF)
- Poggenklaß - Kirchenasyl (AG 2) (PDF)
- Poggenklaß Kirchenasyl; Textbausteine für eine Bescheinigung(AG 2) (Word-Datei)
- Hügel - Flucht und Asyl von A - Z (AG 4) (PDF)
- Breyer - Morgendlicher Impuls (PDF)
- Gottesdienst (PDF)
- Wegmann Sandkamp: Kirchengemeinden sind aktiv.pptx (Powerpoint-Datei)